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Kritik an ausländischen Agrar-Investitionen in Afrika

June 10, 2011
Source
Neue Zürcher Zeitung

 

 

mhf. Nairobi U In anglofonen afrikanischen Medien hat sich für ein Phänomen, dem erst seit zwei, drei Jahren eine weltweite Aufmerksamkeit zuteil wird, bereits der Begriff «land grab» (Landraub) eingebürgert. Gemeint sind die Kauf- oder langfristigen Pachtverträge, mit denen afrikanische Staaten ausländischen Konzernen und Staatsfonds Agrarland zur Kultivierung überlassen. Das Oakland Institute vermeidet zwar den Ausdruck, der eine nachteilige Beurteilung des Landhandels vorwegnimmt. Aber der am Mittwoch veröffentlichte Bericht der kalifornischen Kritiker der Agroindustrie, die unter anderen vom Investor Warren Buffett unterstützt werden und laut eigener Aussage in der Uno, der Weltbank und beim IMF Einfluss geniessen, lässt kein gutes Haar an den Agrar-Investitionen.

Versprechen nicht eingehalten

Laut dem Bericht gefährden die ausländischen Investitionen die Nahrungsmittelsicherheit in den betreffenden Ländern, statt sie – wie oftmals versprochen – zu verbessern. Auch die Versprechen von Investoren, Arbeitsplätze zu schaffen und traditionelle Besitzrechte zu respektieren, würden nicht eingehalten. Ausländische Investoren folgten einseitig der Logik der Gewinnmaximierung oder spekulierten mit steigenden Nahrungsmittelpreisen, wodurch deren Volatilität noch zunehme.

Der Bericht des Oakland-Instituts, dem jedenfalls das Verdienst gebührt, zahlreiche der beanstandeten Pachtverträge und Abmachungen zu publizieren, ist nicht das erste kritische Gutachten des umstrittenen Landhandels in Afrika. Dieses Jahr machten bereits die britische Nichtregierungsorganisation Oxfam und die Weltbank («Rising Global Interest in Farmland») ausführlich auf Mängel und Gefahren der Agrar-Investitionen aufmerksam. Im April kamen an einer Konferenz an der Universität von Sussex Dutzende von Einzelstudien zusammen. Mit den Untersuchungen soll die seit 2009 im Raum stehende Frage, ob bei der ausländischen Kommerzialisierung afrikanischen Bodens der Nutzen oder die Risiken überwiegen, beantwortet werden.

Die ausländischen Agrar-Investitionen nehmen in der Tat rasant zu. Laut der Weltbank lag die weltweite Expansion von kommerziellem Agrarland vor 2008 bei weniger als 4 Mio. ha pro Jahr. 2009 wuchsen die Landnahmen auf insgesamt über 50 Mio. ha an, mit einem Anteil von 70% in Afrika. Zu den wichtigsten Investoren gehören chinesische, indische und arabische Firmen und Staatsfonds. Bei einer der grössten Abmachungen wollte 2008 die madagassische Regierung der südkoreanischen Firma Daewoo Logistics 1,3 Mio. ha Land überschreiben – eine Fläche von fast einem Drittel der Schweiz. Der Handel trug zum Sturz der Regierung in Antananarivo bei und wurde später annulliert. Ein anderer, jetzt vom Oakland-Institut veröffentlichter Bericht nennt eine texanische Firma, die im Südsudan langfristig 600 000 ha (6000 km2) gepachtet hat. Der Bericht knöpft sich vor allem westliche Firmen und Investmentfonds vor, die in Schwarzafrika Agrar-Investitionen tätigen.

Das Papier kritisiert, wie zuvor der genannte Weltbank-Bericht, dass die Investitionen kaum reguliert und die Abmachungen undurchsichtig und von Korruption durchzogen seien. Bewohner würden oft entschädigungslos vertrieben. Als Beispiel führen die Autoren Tansania an, wo das Gelände ehemaliger Flüchtlingslager verpachtet worden sei; die Flüchtlinge (aus Burundi) würden gegen ihren Willen und damit in Verletzung internationaler Konventionen repatriiert. In Äthiopien zwängen die Behörden 700 000 Bauern in Dörfer und verpachteten das frei gewordene Land. Die oft gehörte Behauptung, es werde nur marginales Land verpachtet, entspreche selten der Wahrheit. So hätten in Mali gutgehende Frauenkooperativen von Gemüsebäuerinnen den Betrieb einstellen müssen, um einem Investor zu weichen.

Genfer Firma hängt mit

Die Pachtverträge gewährten Investoren 100%ige Besitzanteile und andere umstrittene Vorteile, schreiben die Autoren. In Sierra Leone und Äthiopien werde Land für 12 $ pro Jahr und Hektare verpachtet, gegenüber entsprechenden Pachtzinsen von über 5000 $ in Argentinien oder Brasilien. Zu den Pachtzinsen hatte allerdings bereits der (kritische) Bericht der Weltbank angemerkt, der komparative Vorteil afrikanischer Pachten, die in der Regel umfassende Infrastrukturinvestitionen nötig machten, sei ihr tiefer Zins, während ausländische Pächter in Südamerika bestehende Infrastrukturen nutzen könnten.

Auch andere Kritikpunkte erweisen sich bei näherer Betrachtung als fragwürdig. So ist die laut Medienberichten an der Konferenz in Sussex vielfach geäusserte Behauptung, versprochene Arbeitsstellen würden nicht geschaffen, zu relativieren. Laut der Weltbank wurden bis letztes Jahr erst 21% der weltweit untersuchten Verträge umgesetzt. Möglicherweise ist es für eine ausgewogene Kosten-Nutzen-Analyse zu früh. Ein Beispiel ist der Vertrag der Genfer Firma Addax Bioenergy mit Sierra Leone für den Anbau von 10 000 ha Zuckerrohr für die Herstellung von Ethanol. Statt der versprochenen 3000 Arbeitsstellen seien bloss 200 geschaffen worden, behauptet das Oakland Institute. Laut einer Stellungnahme von Addax Bioenergy wurden mittlerweile jedoch 650 Stellen geschaffen. Der Durchschnittslohn sei doppelt so hoch wie der gängige Mindestlohn. Laut einem Firmensprecher unterschlagen die Autoren vor allem auch, dass die Herstellung von Biotreibstoff mit einem von der Uno unterstützten Programm zur Verbesserung der Produktivität der Kleinbauern der Umgebung einhergeht.

«Reflexe», Seite 28